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Masern in Berlin: Meinung: Unnötige Rückkehr der Seuche

In Berlin grassieren die Masern - Ausdruck einer in Teilen der Gesellschaft verbreiteten Impfskepsis. Dabei darf man die Krankheit nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Masernvirus

In Berlin gehen die Masern um: Von Oktober bis Ende Januar seien 375 Menschen erkrankt – über die Hälfte davon waren Erwachsene, schreibt "Zeit.de". Ursprünglich begann die Erkrankungswelle unter Asylbewerbern aus Bosnien, Herzegowina und Serbien, die teilweise wegen der Kriege in den 1990er Jahren nicht geimpft worden waren. Doch längst verbreiten sich die Masern auch in der ursprünglichen Bevölkerung: Mehr als die Hälfte der Fälle betrifft Menschen, die nicht eben erst zugewandert oder hierher geflüchtet sind. Allein im Januar gab es laut dem Robert Koch-Institut mehr als 250 Neuerkrankungen – und das bei offensichtlich steigender Tendenz.

Damit ist schon jetzt klar, dass die Bundesrepublik dieses Jahr das gesteckte Ziel der Mediziner von maximal rund 80 Masernfällen deutlich verfehlen wird. Dabei hatte sich unser Land bei der Weltgesundheitsorganisation WHO verpflichtet, die vermeintliche Kinderkrankheit bis 2015 hier zu Lande auszurotten – als wichtiges Etappenziel zur weltweiten Eliminierung der gefährlichen Viruserkrankung. Dabei war das Scheitern schon vorprogrammiert, denn in den vergangenen Jahren traten immer wieder Masernausbrüche in Deutschland auf – etwa 2013, als es ebenfalls in Berlin und in München zu einer Welle an Erkrankungen kam.

Diese Infektionen sind Ausdruck eines bisweilen fahrlässigen Umgangs mit der eigenen Gesundheit, weil man vor Jahren schlicht vergessen hat, sich gegen Masern impfen zu lassen. Über die Hälfte der in Berlin betroffenen Masernkranken waren Erwachsene. Insgesamt gaben 90 Prozent der 335 Befragten an, dass sie sicher nicht gegen das Virus geimpft worden waren. Darüber kann man den Kopf schütteln, denn gerade bei Erwachsenen verläuft die Krankheit sehr viel heftiger als bei Kindern.

Daniel Lingenhöhl

Völlig unverantwortlich wird es jedoch, wenn zur Impfmüdigkeit noch eine Impfskepsis kommt – und Eltern ihre Kinder bewusst nicht gegen das Virus impfen lassen. Denn Masern sind gefährlich: Weltweit starben noch vor wenigen Jahren zehntausende Menschen an dem Virus, darunter viele Kinder unter fünf Jahren. Auch unter hier zu Lande herrschenden Hygienebedingungen und ärztlicher Betreuung kann es zu schweren Komplikationen mit Lungen- oder Hirnhautentzündung kommen. Selbst in Deutschland stirbt einer von 500 Erkrankten. Besonders schwer erkranken Säuglinge und Kleinkinder unter einem Jahr (die noch nicht geimpft werden können) oder Menschen mit schwachem Immunsystem.

Und diese Impfskepsis betrifft nicht sozial benachteiligte Menschen oder Zuwanderer, wie dies bisweilen behauptet wird. Nein, sie manifestiert sich gerade in den vermeintlich gebildeten Schichten. Virologen sprechen hinter vorgehaltener Hand vom W-Problem, dem Waldorfschulenproblem, wo Masernausbrüche geballt auftreten, weil Eltern hier gerne bewusst auf Impfungen verzichten: Krankheiten stärkten das Immunsystem und gehörten zu einer guten Kindesentwicklung, so die beliebte Begründung. Man muss im Internet nur nach Masern und Waldorfschulen suchen, schon findet man zahlreiche Fälle, bei denen das Virus in größerem Ausmaß seine Runden zog.

Zahlen schulärztlicher Untersuchungen in Berlin legen Ähnliches nahe: In allen Punkten schneiden Kinder aus sozial höher gestellten Familien gesundheitlich besser ab als weniger begüterte Altersgenossen – bis auf eine Ausnahme: Sie sind überdurchschnittlich häufig nicht gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft, obwohl es ihre Eltern besser wissen müssten.

Woher kommt diese Skepsis? Man muss sich nur in Impfskeptikerforen umsehen, dann stößt man immer noch auf die Behauptung, die Masernimpfung ginge mit einem höheren Autismusrisiko einher. Tatsächlich erschien vor Jahren eine entsprechende Studie im renommierten Fachjournal "Lancet", doch wurde diese längst als falsch zurückgezogen. Im Gegenteil: Zahlreiche Studien belegen, dass es eben keinen derartigen Zusammenhang gibt: Er ist falsch!

Wir verfügen seit 40 Jahren über einen anerkannten Impfstoff, der sicher wirkt und in der überwiegenden Zahl der Fälle komplikationslos verabreicht wurde. Die häufigste Nebenwirkung ist eine leichte Rötung der Einstichstelle, bisweilen kommt leichtes Fieber dazu. Schwere Nebenwirkungen sind extrem selten und lassen sich meist nicht einmal auf die Impfung zurückführen, sondern traten wahrscheinlich zufällig gleichzeitig auf.

Wer sich oder seinen Nachwuchs nicht impfen lässt, handelt verantwortungslos – und zwar nicht nur den eigenen Kindern gegenüber, sondern auch Menschen, die sich (noch) nicht impfen lassen können: Babys oder Personen mit Immunschwäche. Sie sind auf den Herdenschutz angewiesen, auf ein Umfeld, in dem die Masern nicht mehr auftreten können, da 95 Prozent der Gesellschaft dagegen geimpft sind. Wenn dieses 95-Prozent-Ziel erreicht ist, sind die Masern erfolgreich niedergekämpft – Deutschland ist davon noch einige Prozentpunkte entfernt. Und das ist einer eigentlich aufgeklärten Gesellschaft unwürdig.

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